Ostern 2004
Konzerte an der Ostsee
Ein paar schöne und auch zwei „Na-ja-Konzerte“. Zu den schönen Konzerten gehörte Ahrenshoop. Die Veranstalterin im Kunstkaten, Mandy Schöpa, macht ihre Sache verdammt gut. Vielleicht sollte man ein „Coups de coeur“ für umtriebige Veranstalter einführen, ohne die gute Konzerte undenkbar wären.
Im Publikum viele „Südländer“, Bayern, eine eigenartige Spezies mit Besitzanspruchsblick selbst beim Sonnenuntergang. Erstaunlicherweise konnten die über den Gag: „…vielleicht wird jeder von uns dann ein Bajuware, Gott bewahre…“ (Song: „Die Hineingeborenen“, neue CD „Insel Sein“) herzhaft lachen.
Auch den leisesten, sensibelsten, charmantesten Zigarettendreher, Zuhörer und Mitdenker Knut G. aus Bonn hatte es an den Darß in mein Konzert verschlagen. Die Malerin Heidrun Hegewald, die wieder malt (!!!!), ebenfalls. Heidrun, wenn ich Galeristin wäre, Du hättest in meiner Galerie eine Dauerausstellung, Hand drauf.
Die Kneipenwirte bekamen Frühlingsgesichter als die Autokorona der Touris anrollte. Von Rucksackfreaks jedoch keine Spur mehr. Vor vielen Jahren, als es keine Frage des Geldes, mehr eine der Beziehungen war an der Ostsee Quartier zu nehmen, gab es in Ahrenshoop ein hutzeliges Kulturbundhaus. Unterm Dach lebte Conny Crohn mit ihren Zwillingen. Sie organisierte Veranstaltungen mit Margekünstlern und gab manchem Abgebrannten Quartier. Conny Crohn gibt es immer noch. Aber nicht mehr in Ahrenshoop. Sie schreibt sensible Gedichte („Unter Wasser“ Altstadt Verlag, Rostock) und erinnert sich sicher noch an meinen „Auftritt“ in den 80er Jahren, als ich – nicht bereit und in der Lage früh um 10.00 Uhr einen Broiler zu verzehren – in einer Ahrenshooper Kneipe vor Wut eine Ladung Teller und Bestecke durch die Gegend feuerte. Kaffee bekam ich trotzdem nicht.
Zu Ostern 2004 gab es an Fischlands Stränden Osterfeuer, schlechte Musik, Bier und Osterreiter auf Pferden, die extra „eingeflogen“ wurden.
Die Ostsee als Naturkulisse für Events. Die Touristen rennen hin, um sich dann darüber zu mokieren. …meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer…
Im Fischlandhaus in Wustrow wurde – Renate Billinger sei Dank – eine Ausstellung mit Bildern der Hallenser Malerin Susanne Berner eröffnet. Das ist die Künstlerin, deren Bild zum Cover meiner neuen CD „Insel Sein“ wurde. Ich hab’s mir nicht nehmen Lassen, die Laudatio für diese Ausstellung zu halten.
Ausstellungseröffnung
„Die Küste, das Land, der Fluss“
4.4.04 Fischlandhaus Wustrow
Susanne Berner
Es ist viele Jahre her, da lehrte mich Susanne Berner die Kunst des Gully-Guckens. Eine Performance, die man sich – wäre man im Westen unserer deutschen Heimat geboren worden – sicher hätte patentieren lassen müssen. Gully Gucken. Was das ist? Die Erkenntnis, selbst die beschissensten Winkel des Lebens eröffnen einem neue Welten. Man geht bei Dunkelheit mit einem Stapel alter Zeitungen, genügend Wein, Feuerzeugen auf die Straße, sucht sich möglichst straßenmittig ein paar Gully Deckel, legt sich bäuchlings davor, zündet Fackeln aus gedrehten Zeitungen an und lanciert sie durch die Ritzen des Gully Deckels. Wie brennende Tauben, oder um im Bilde zu bleiben, Zeitungsenten, flattern sie im unterirdischen Labyrinth der Kanalisation herab, um sich ganz unten ins Kloakeflüsschen, von dem sie – noch brennend – mitgerissen werden, zu legen, und dann zu erlöschen. Während des Fluges, vielleicht 4 Sekunden oder gar eine Minute, eröffnet sich einem eine unbekannte Welt: Kunstvoll gemauerte Gewölbe aus rotem oder gelbem Backstein, Trottoirs, Wasserfälle, manch Ekel erregendes Getier zeigen sich im Flash des Fackellichts. Viele Meter unterhalb der Stadt gibt es ein architektonisches Kleinod zu entdecken. Gerade in der Stagnation der 80er Jahre gab es – so Susanne Berners Botschaft – unter der Saale-Stadt weitaus mehr zu sehen, als in ihr.
Als wir nach einem Hallenser Konzert – gut beköstigt durch die Künstlerin, die auch eine hervorragende Köchin ist – mal wieder auf der Straße lagen, meine Musiker, Susanne und ich, jeweils 3 Leute um einen Gullydeckel, wurden wir abrupt aus unserem „ah, oh, guck mal da“ herausgerissen. Ein Polizeiauto, von Bewohnern der Händelstraße (die hinter den Gardinen immer ein gutes Publikum waren) herbeigerufen, hielt neben uns. Wir mussten die Personalausweise vorzeigen und wurden zum Sinn unseres Tun’s befragt. Susanne behauptete, mir sei mein Autoschlüssel gerade in den Gully gefallen, der Bassist gab an, dort unten seine magere Abendgage zu suchen, die Pianistin, noch einen Gully weiter platziert, behauptete, ihr wäre ein Brief, ein wichtiger!, durch die Ritzen geschlüpft und hinab gefallen. Die Polizisten bekamen nach kurzer Erörterung der Lage Mitleid. Sie legten sich vor die Gullys und suchten mit Taschenlampen nach den verloren geglaubten Gegenständen, fachsimpelten, ob man hinabsteigen sollte und waren plötzlich auch fasziniert von der unterirdischen Welt, über die sie uns anscheinend vergaßen. Wir setzten uns ins Auto, meine Musiker und ich, und fuhren nach Berlin. Mit Zündschlüssel, versteht sich. Susanne sammelte die restlichen Weinflaschen ein und ging ins Haus. Das war 1984.
Ein Schiff, das im Hafen liegt, ist sicher. Aber dafür werden Schiffe nicht gebaut, sagt ein englisches Sprichwort.
Sicher ist, dass die Malerin und Grafikerin Susanne Berner nach ihrem fünfjährigen Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig auch eine ganz andere Laufbahn hätte einschlagen können. Sozusagen eine sichere. Eine verweilende im Hafen des Erlernten. Jedes Jahr 3 Buchillustrationen und vielleicht ein „Dauerabonnement“ auf eine kommentierende Vignette zu politischen Essays in einer Tageszeitung. Und wenn es die Zeit erlaubt, Pastelle, Collagen, Aquatintas machen und malen. Das hätte zur Folge gehabt, mehr als zeichnende Kommentatorin, denn als Malerin wahrgenommen zu werden.
Aus Susanne Berner ist (nach meiner Wahrnehmung) weder das Eine noch das Andere geworden. Sie hat sich zu einer Künstlerin entwickelt, die keines erklärenden Adjektivs mehr bedarf.
Ob es sich um Performances handelt, für die sie sinngebend nicht nur Kostüme entwarf (z.B. ein Kleid, nur bestehend aus Krawatten, getragenen, versteht sich. Die Wucht! Darin würde selbst Alice Schwarzer verdammt charmant aussehen), ob sie inszenierte, selbst (mit)spielte, oder um ihre neueste Arbeit, gar „neue Erfindung“: „Die unlesbare Bibliothek“: Aus abgestoßener Platanenrinde aus der Gegend um Dieskau geschnitzte Minibücher, die sich nicht öffnen lassen, einem aber signalisieren: Öffne mich! Und die ihre skurrilen Titel aus ungelesenen Schwarten erhalten.
Bernerkunst spielt mit dem Verspieltsein, mit dem 3. Auge hinter dem antrainierten Filter unseres Alltagsblicks. Dazu bedarf es einer Lebensmitte, die intakt ist, eines Seelenvogels, der nicht andauernd ausbricht, der (möglichst nur) in den Momenten der „Schöpfung“ flattert, in denen der Erschöpfung aber Ruhe gibt. Man nennt das – Begabung hin, Begabung her – auch die Kunst des Lebens. Lebenskunst, ein missdeutbares Wort, hat nichts mit „leicht“ leben können zu tun. Dass das Wort von vielen für etwas „Oberflächliches“ gehalten wird, ist auf den Umstand zurückzuführen, dass sie – die Lebenskunst – in moderner Zeit kein Gegenstand ernsthafter Reflexion mehr ist.
Eigentlich ist Lebenskunst ja etwas Philosophisches, schon das Wort selbst entstammt der Philosophie und war bereits in der Antike im Gebrauch. Wir alle sind – vor uns selbst – für dieses Leben verantwortlich, niemand sonst wird, schon gar nicht am ultimativen Punkt, am Ende eines Lebens, diese Verantwortung übernehmen. Lebenskunst ist die Ernsthaftigkeit des Versuches, sich das Leben – außerhalb der realen Zwänge und Nöte, in die man eingebunden ist – selbst anzueignen und vielleicht sogar „ein schönes leben“ daraus zu machen. Und das genau führt die Künstlerin Susanne Berner vor. Ihr Beharren auf spielerischer Naivität in fast allen ihren künstlerischen Entäußerungen, das Pflegen der kindlichen Instinkte, ist ein Schauen mit den Sinnen, ein Einssein mit dem Seelenvogel, den sie frei lässt und der eben darum immer wieder zurückkommt.
Als ich das erste Mal Anfang der 80er Jahre nach einem Konzert in Halle die Stiegen des einst herrschaftlichen, DDR verwunschenen Hauses in der Händelstr. 20 erklomm, erschien mir Susanne Berner gar als Gesamtkunstwerk… ihre Art, sich zu kleiden, sich zu schminken… Eine riesige Wohnung, in der es lauter kleine skurrile Altäre gab. Z.B., um das verstimmte Klavier im Salon eine beleuchtete Pyramide aus Teddybären, die alle Namen haben, Püppchen und Puppenstuben. Kinderspielzeug, Perpetuum mobiles, Clowns auf Fahrrädern, springende Frösche aus Metall, zitternde Schlangen, alles quakte, raschelte, zirpte, wenn man es aufzog und raste übers Parkett, während die Katze, (die mit den Bernsteinaugen?), dem Treiben aus sicherer Distanz gelangweilt zusah. Sie kannte diese Begrüßungsrituale, wenn Leute kamen und die kamen oft. Die wild gewordenen Papp- bzw. Metallkameraden, stellten schon lange keine Bedrohung mehr für ihre Position in der Berner-Bartsch-Familie dar. Ein durchsichtiger Plastikschlauch wand sich von der Zimmerdecke, wo ein Trichter befestigt war, der das Regenwasser des undichten Daches auffing, durchs ganze Zimmer bis in den Gummibaum, der tropische Ausmaße annahm, dadurch (???) jedenfalls prächtig gedieh. Aus der Not eine Tugend machen, Kreativität spielerisch einsetzen. Das war die Botschaft der Bewohner dieser Wohnung. Im hinteren Teil wohnte zwischen bis unter die Decke voll gestopften Bücherregalen, inmitten funkelnder, polierter Steine auf Tischchen kleiner Lese-, Ruhe-, Nachdenke-Inseln der Rinderzüchter, Rotationsarbeiter, Heimerzieher, Postfacharbeiter, Nachtwächter, Philosoph und Dichter Wilhelm Bartsch. Die platte Küchenlieder-Weisheit: „Gegensätze ziehen sich an“, überzeugt bei keinem Paar meines Bekanntenkreises so sehr, wie bei Susanne Berner und Willi Bartsch.
Willi, das wandelnde Lexikon – überzeugen Sie sich selbst, stellen sie ihm eine Frage zum 30jährigen Krieg, zu Mineralienvorkommen auf dem Mars, zur chemischen Zusammensetzung von Chloraldehyd – sie werden eine gültige Antwort erhalten. Susanne, mit der es sich (auch in ausweglosen Situationen) so wunderbar lachen lässt, in der Beziehung mit Willi mehr zuständig fürs Derbe, wird, spätestens wenn man ihre Norweger Pastelle sah, zu einer verletzbar, nicht minder verletzten, äußerst sensiblen Künstlerin.
Das Eine ist immer auch zu Haus im Anderen. Wir wissen es längst.
Unsere Zeit: das Ende der Ideologien, das Ende der mit Ihnen verbundenen Träume, sozialistischen wie kapitalistischen, das Ende der allzu optimistischen Utopien, wirft die Menschen in ungeahntem Maße auf sich selbst zurück. Nichts und niemand, so ahnen wir, wird jemals eine Welt schaffen, in der das Leben unproblematisch ist.
Ideologien und Utopien haben eher neue Probleme herbeigeführt, mit denen viele nicht mehr zu leben verstehen.
Und selbst wenn es gelänge, irgendwann einmal eine ideale Gesellschaft zu schaffen,
niemals, niemals würde der „Lebensvollzug“ problem- und konfliktlos verlaufen. Uns diese Konflikte erträglicher zu machen, dafür stehen Künstler… (manchmal sogar gerade). Auch solche wie Susanne Berliner, Vollblutkünstlerin ohne jegliches Adjektiv und Poeten und Philosophen wie Willi Bartsch.
Wer auf den Darß fährt – egal zu welcher Jahreszeit – sollte unbedingt auch die Kunstscheune von Gabi und Peter Eymael (Wustrow) besuchen.
Am Ostersonntag erwartete Jean Pacalet und mich ein Kontrastprogramm besonderer Art: Ein Konzert in der Europäischen Kooperative Longo mai „Hof Uhlenkrug“.
„Kultur im Kuhstall“ heißt die Veranstaltungsreihe. Die improvisierte Bühne war mit schwarzem Stoff abgehängt, dahinter grunzten glückliche Schweine. Eine Führung über den Hof wurde uns offeriert: ein neues Wohnhaus (im Entstehen), ein Kinderhaus, ein Backhaus, eine Wagenburg, Pferde, Schafe mit Osterlämmern, Kühe und eine unüberschaubare Anzahl von großen und kleinen Bewohnern aus vielen Ländern, selbst ein Japaner der – zu Fuß!!! – über die Seidenstraße den Weg ins ferne, fremde Mecklenburg fand, bevölkern den Hof. Ich verlor total den Boden unter den Füßen, hatte Orientierungsprobleme und war – war’s die Landluft, das gute Essen oder die Gespräche mit den Longo-mai-ern?? – richtig schlecht auf der Bühne. Hunde, Katzen, Schweine als blinde Passagiere im Konzert, daran muss sich eine Großstädterin erst einmal gewöhnen. Die Zeitungsrezensenten waren überaus gnädig: „Eine Unangepasste schreibt wieder Lieder“, „Misch dich ein und sei Du selber!“… wahrscheinlich waren es zwei richtige Gutmenschen, wie alle auf dem „Hof Uhlenkrug“.
Wer sich für alternative landwirtschaftliche Produktionsmethoden interessiert und an Hintergrundinformationen (z.B. zu genmanipuliertem Saatgut) interessiert ist, der sollte sich unter ulenkrug@t-online.de die Publikation „Ulenkrug Brief“ schicken lassen. Ich erfuhr daraus, dass seit 1996 fünf transnationale Konzerne weltweit den Saatgutmarkt mit genmanipulierten Sorten beliefern und dass die neuen Saatgutbarone eigentlich Chemiekonzerne sind, die Herbizide, Pestizide und Kunstdünger verkaufen. „Mit der Möglichkeit, gewaltsam in das Erbmaterial von Pflanzen einzugreifen, wandeln sich die Giftgiganten zu angeblich umweltbewussten Saatgutgiganten, denen nur die Bekämpfung des Hungers auf der Welt ein Anliegen ist. 1999 wurden weltweit bereits 40 Millionen Hektar Land mit genmanipulierten Pflanzen bebaut. Der Umsatz der Konzerne belief sich auf 30 Milliarden Dollar nur für Saatgut, ebensoviel für Kunstdünger und etwas weniger für Spritzmittel.“ Na dann: Guten Appetit! Und hoffentlich keine MaGENgeschwüre. Bis bald.